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Causticum Hahnemanni - Grimm

Causticum: Ätzstoff oder Phantasieprodukt?

von Andreas Grimm

 

Causticum Einleitung

Causticum Hahnemanni ist zweifellos das umstrittenste Präparat der Materia medica. Es wurde schon zu Lebzeiten Hahnemanns zum Zankapfel innerhalb der homöopathischen Ärzteschaft, jedoch nicht wegen fehlender oder ungenügender Arzneiwirkung sondern wegen seiner chemischen Zusammensetzung. Die „wahre Natur" des Causticum hat damals wie heute viele Spekulationen ausgelöst. Die Frage nach den Inhaltsstoffen stellt sich keineswegs nur aus theoretischen Erwägungen, sondern hat für die tägliche Praxis Bedeutung. Eine sichere Arzneitherapie ist nur möglich, wenn die zur Therapie verwendete Arznei und die geprüfte Arznei ident sind. (Zur Überprüfung dieser Übereinstimmung muss die chemische Zusammensetzung aufgeklärt oder die Originaltreue des Herstellungsverfahrens gewährleistet sein). Übrigens fand Causticum, obwohl zu den Polychresten gehörend keine Aufnahme ins homöopathische Arzneibuch (HAB1) *

Nach 150 Jahren scheint es an der Zeit, einen Versuch zur endgültigen Klärung seiner chemischen Beschaffenheit zu unternehmen.

 

Zur Geschichte der Causticum- Chemie

„Causticum. Ätzstoff" wurde von Hahnemann in seinen „Chronischen Krankheiten", 4. Band, 1830 beschrieben und in die Materia medica eingeführt, die endgültige Fassung erschien dann 1837 in der 2. Auflage. [ii]

Hahnemann glaubte, im Causticum ein vollkommeneres und reineres Produkt der Aetzstofftinktur (Tinctura acris)", erstmals in der „Fragmenta"[iii]), dann in der Reinen Arzneimittellehre [iv] erwähnt, gefunden zu haben und lobt die antipsorischen Tugenden seines neuen Präparates. [v]

Griesselich unternahm 1835 „mit einem geschickten Chemiker" den Versuch, genau nach Hahnemanns Vorschrift Causticum zu präparieren.

Da er nach wiederholten Versuchen kein mit Hahnemanns Beschreibungen übereinstimmendes Präparat herstellen konnte, forderte er die Ärzte auf, über ihre Erfahrungen zu berichten und entweder Hahnemanns Angaben zu bestätigen oder zu widerlegen. [vi] Die Resonanz blieb aus, und er kam zu dem Schluß: „Ein Causticum gibt es nicht und kann es nicht geben". [vii] Da es für Griesselich offenbar von Wichtigkeit war, die Diskussion um Causticum aufrechtzuerhalten, weil er damit hoffte, Hahnemanns Autorität in Frage stellen zu können [viii], und er außerdem der Meinung war, „... in naturwissenschaftlichen Dingen müsse Klarheit herrschen, und Wein könne nicht Wasser genannt werden, wie Causticum nicht Causticum, wenn es keines gibt"[ix], setzte er 1837 einen Preis von 12 Ducaten für die endgültige Klärung der chemischen Natur des Causticums aus. [x] Aber „...kein Mensch bewarb sich und wollte gratis oder für 12 lumpige Ducaten Hahnemanns Causticum-Ehre im Destillirkolben die Feuerprobe bestehen lassen... Die Wortführer des Causticum, die Ritter ohne Schärfe, mögen mit besseren als mit Wortbeweisen kommen, die Eher des chemischen Nichts zu retten".[xi]

Einerseits vielleicht angespront durch diese kernigen Worte, andererseits initiiert von Anhängern Hahnemanns, die ihrem Meister Hilfestellung geben wollten, setzte eine langanhaltende Diskussion ein und zahlreiche chemische Versuche wurden unternommen. Die Experimentatoren kamen zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen, was wiederum zu den abenteuerlichsten Spekulationen Anlass gab. 1835: Griesselich beschreibt sein Präparat als fade schmecken, mit Geruch nach schwachem Kalkwasser, weder saure noch alkalische Reaktion zeigend. [xii]

1836 glaubt derselbe Autor, Calcium causticum sei der Inhaltsstoff. [xiii]

1837 erhält Buchner ein wasserhelles, farbloses Präparat von laugenhaftem Geruch und Geschmack, das kein Brennen, höchstens ein Kratzen im Schlund verursacht, mit deutlich alkalischer Reaktion und weist Ammoniak nach.[xiv]

Im gleichen Jahr hält Veith Causticum für nichts anderes als Kali causticum, ohne jedoch experimentelle Ergebnisse für diese Behauptung anzugeben.[xv]

1840 beschreibt Piper ein Präparat mit schwachem, unbestimmten Geschmack und deutlichem Geruch nach Kalk und siedendem Leim. Er weist darin Spuren von Schwefelsäure, aber keinen Ammoniak nach.[xvi]

1840 beschließt die Vereinsversammlung in Mainz, das Präparat sein Ammoniak, worauf Griesselich vorschlägt, statt des Causticum reines Ammonium causticum anzuwenden.[xvii]

1841 beschreibt Lappe, den Hahnemann 1829 in einem Brief [xviii] um eine Analyse bat, sein Präparat so: Wasserhelle, farblose Flüssigkeit, alkalisch wie
Kalk beim Löschen riechend. In zahlreichen Versuchen konnte er Ammoniak, eine „Spur von Kalkerde" und eine kohlenstoffhaltige Substanz unbekannter Herkunft finden.[xix]

1841: Griesselich bezeichnet Causticum als „... chemisches Unding"[xx], schließt aber später aus Buchners und Lappes Ergebnissen, dass Causticum „aller Wahrscheinlichkeit" geringe Mengen an kohlensaurem Ammoniak (nicht reinen Ammoniak) enthalte.[xxi]

1843 stimmt die 10. Versammlung des rheinischen Vereins darin überein, dass Causticum „ein unsicheres Präparat sei, dessen Ursprung auf einer irrigen chemischen Idee beruhe". [xxii] Im gleichen Jahre schließt sich dem Rummel an: „Causticum ist auch so ein Mittel von zweideutigem Ruf."[xxiii]

1843 werden beim Vergleich zweier Präparate wider unterschiedliche Qualitäten gefunden, Henkings Causticum ist wasserhell, schmeckt mild, riecht etwas nach Kalkwasser und wird milchig-trübe, wenn es der Luft ausgesetzt wird. Walches Causticum hingegen riecht wie ein in Zersetzung begriffener Stoff.[xxiv]

1844: Gruners Präparat riecht stark nach Ammoniak und verfärbt Korkstopfen schwarz. Pettes Präparat dagegen ist wasserhell und gänzlich geschmack- und geruchlos.[xxv]

1845: Das Causticum von Starke besitzt einen eigentümlichen, der Seifensiederlauge ähnlichen Geruch. Ammoniak lässt sich nachweisen und beim Versetzen mit Schwefelsäure nach dem Eindampfen entsteht ein gelbbrauner Faserstoff.[xxvi]

1858: Goullons Causticum ist wasserhell und hat die von Hahnemann beschriebenen Geschmacksqualitäten. Es riecht nach Kalkdunst, verursacht Brennen im Hals, zeigt aber keine alkalische Reaktion und enthält keinen Ammoniak. Daraus schließt Goullon, dass es sich um „dynamisierten Kalk" handeln müsse.[xxvii]

1861 beschreibt Streintz ein Präparat von schwachem, eigentümlich fadem Geruch, das alkalische Reaktion zeigt und Spuren von Ammoniak enthält.[xxviii]

1877 stellt Lorbacher in einer mehrteiligen Publikation zahlreiche Arbeiten zu Causticum zusammen, kommt aber bezüglich seiner chemischen Zusammensetzung zu keinem Ergebnis.[xxix]

1926: Nach einer längeren Pause in der Diskussion um Causticum glaubt Wagner, die endgültige Lösung gefunden zu haben. er weist Ammoniak und Ammoniumsulfit als Inhaltsstoffe nach. Experimentell konnte er zeigen, dass der gefundene Ammoniak aus dem gebrannten Kalk stammt.[xxx] Wagners Ergebnisse nimmt Möckel im gleichen Jahr zum Anlass, in einem Übersichtsreferat mit immerhin 62 zitierten Literaturstellen die Problematik um Causticum als abgeschlossen zu betrachten.[xxxi] P. Schmidt[xxxii] lobt 1928 Wagners Untersuchungen in den höchsten Tönen als die einzig ernst zu nehmenden. Er zieht aus dessen Ergebnissen den spektakulären Schluß, die antipsorische und antisycotische Wirkung des Causticums sei auf den Gehalt an Schwefel zurückzuführen. T.F. Allen hält Causticum für identisch mit Tinctura acris sine Kali und Kali causticum für den Inhaltsstoff.[xxxiii]

Hughes vermutet ebenfalls Kali causticum als Inhaltsstoff.[xxxiv] Farrington ein Kaliumpräparat ihm unbekannter Zusammensetzung.[xxxv] Alle drei zuletzt genannten Autoren geben aber keine Quellen oder experimentellen Befunde an.

Was in neuerer Zeit zum Thema Causticum geboten wurde, wirk eher mystifizierend als erhellend und beruht mehr auf Spekulationen als auf solider chemischer Analytik.

1969 hält Hochstetter Causticum „für ein alchemistisches Problem" und vermutet, dass eventuell Kalilauge bei der Destillation, ähnlich wie bei der Wasserdampfdestillation ätherischer Öle, „mit hinübergerissen wird". (Kalilauge gehört aber nicht zu den wasserdampfflüchtigen Substanzen, s. unten).[xxxvi]

Mezger behauptet, Causticum sei durch Ammonium carbonicum ersetzbar.[xxxvii] Vithoulkas bringt Hahnemanns Causticumzubereitung in Zusammenhang mit der Alchemie und stellt sie als Beispiel hin für die einzelnen Bearbeitungsschritte eines mineralischen Stoffs und die „unglaubliche Genauigkeit", mit der Hahnemann Stoffe auf ihre chemische Eigenschaften untersuchte.[xxxviii] Hagers Handbuch der Pharmazie stellt fest, dass die arzneiliche Wirkung des Causticum nur auf der des Alkohols oder auf Suggestion beruhe, da das Destillat nur Wasser enthalte.[xxxix]

 

Eigene Untersuchungen

Um die Frage nach den Inhaltsstoffen von Causticum Hahnemanni wider aufzunehmen, bedarf es einmal des historisch getreuen Nachvollzugs der Herstellungsschritte Hahnemanns, andererseits der modernen analytischen Methoden, mit denen die einzelnen Stufen kontrolliert werden.

Daher muss zunächst einmal Hahnemanns Verfahren rekonstruiert werden.

 

Hahnemanns Präparation von Causticum

Wir finden sie in Band III (S.84-85) der „Chronischen Krankheiten", und sie soll hier wörtlich und vollständig wiedergegeben werden.

„Mann nimmt ein Stück frisch gebrannten Kalk von etwa zwei Pfunden, taucht dieses Stück in ein Gefäß vol destillierten Wassers, eine Minute lang, legt es dann in einen trockenen Napf, wo es bald, unter Entwicklung vieler Hitze und dem eigenen Geruche, Kalk-Dunst genannt, in Pulver zerfällt. Von diesem feinen Pulver nimmt man zwei Unzen, mischt damit in der (erwärmten) porcellänenen Reibschale eine Auflösung von zwei Unzen bis zum Glühen erhitzten und geschmolzenen, dann wieder erkühlt, gepulvertem, doppelsaurem schwefelsaurem Kali (bisulphas kalicus) in zwei Unzen siedend heißem Wasser, trägt diess dickliche Magma in eine kleinen gläsernen Kolben, klebt mit nasser Blase den Helm auf, und an die Röhre des letzteren die halb in wasser liegende Vorlage, und destilliert unter allmäliger Annäherung eines Kohlefeuers von unten, das ist, bei gehörig starker Hitze, alle Flüssigkeit bis zur Trockenheit ab. Dieses etwa über anderthalb Unzen betragende Destillat, von Wasser-Helle, enthält in konzentrierter Gestalt jene erwähnte Substanz, das Causticum, riecht wie Aeth-Kali-Lauge und schmeckt hinten auf der Zunge schrumpfend und ungemein brennend im Halse, gefriert nur bei tiefern Kälte-Graden als das Wasser und befördert sehr die Fäulnis hineingelegter thierischer Substanzen: Auf Zusatz von salzsaurem Baryt lässt es keine Spur Schwefelsäure, und auf Zusatz von Oxal-Ammonium, keine Spur von Kalkerde wahrnehmen."

 

Die Wiederholung der Hahnemannschen Präparation

Um Hahnemanns Arbeitsweise tatsächliche genau nachvollziehen zu können, war die Kenntnis der ihm zur Verfügung stehenden Gerätschaften, Laborbedingungen und chemischen Ausgangssubstanzen Voraussetzung. Aufschluss darüber kann wohl Hahnemann selbst am besten geben, und zwar im Apothekerlexikon, das sich für diese Arbeit als hervorragende Quelle anbietet. Hier werden verschiedene Destillationsapparaturen beschrieben, auch was eine Destillierblase, was ein zugehöriger Helm (Abb. 1) ist, auch was man unter „... klebt mit nasser Blase den Helm auf..." zu verstehen hat . Da für unseren Zweck Hahnemanns Versuchsbedingungen genau nachzuahmen sind, heutige Destillationsapparaturen aber völlig anders aussehen, wurde ein Helm aus Ton nachgebildet, bei ca. 1200°C gebrannt und anschließend innen glasiert. Der Übergang vom Destillierkolben zum Helm wurde mit nasser Schweinsblase abgedichtet, ebenso die Verbindung von Helm und Vorlage (Abb. 2). Als Wärmequelle diente ein Holzkohlengrill, der direkt, ohne Sandbad unter dem Kolben platziert wurde. Als Ausgangssubstanzen wurden frisch gebrannter Kalk und zuvor geglühtes und geschmolzenes Kaliumhydrogensulfat verwendet.

Was haben wir gefunden? Als endgültiges Produkt Causticum erhielten wir ein Destillat des wässrigen, dicklichen Magmas der Reaktionsprodukte. Allgemein findet man in einem Destillat übergegangene Lösungsmittel, in diesem Fall Wasser. Außer dem Lösungsmittel können flüchtige Stoffe, z.B. wasserdampfflüchtige ätherische Öle, aber auch andere flüchtige Stoffe wie Ammoniak, Schwefelwasserstoff usw. mit dem Lösungsmittel ins Destillat übergehen. Die dazu notwendigen Voraussetzungen erfüllen aber weder die Ausgangssubstanzen noch eines der Endprodukte, da keine wasserdampfflüchtigen Substanzen entstehen. Falls dies zutrifft, müsste das Destillat und damit Causticum Wasser sein. Woher stammen dann aber die von Hahnemann so ausführlich beschriebenen Eigenschaften wie Geruch nach Aetz-Kali-Lauge, schrumpfender und brennender Geschmack, Gefrierpunktserniedrigung und Förderung der Fäulnis hineingelegten Fleisches?

2 KHSO4 -> K2S2O7 + H2O

K2S2O7 -> K2SO4 + SO3

CaO + H2O -> Ca(OH)2

Ca(OH)2 + K2SO4 -> CaSO4 + 2 KOH

Folgende Details der Arbeitsvorschrift verdienen besondere Aufmerksamkeit: Gläserner Kolben, Helm. Kohlefeuer, gehörig starke Hitze. - Diese Beschreibung ist hinreichend genau, dass man mit Kenntnis der damaligen Laborgeräte Hahnemanns Vorgehensweise und Resultate gut verstehen kann.

Im wässrigen Überstand des Reaktionsgemisches befindet sich Kalilauge in konzentrierter Lösung. Diese Lösung wird durch Annäherung eines Kohlefeuers weiter eingedampft. Dabei setzt der in der Chemie sehr gut bekannte und gefürchtete Effekt des Siedeverzuges (plötzliches, stoßartiges Sieden von Flüssigkeiten, die über ihren Siedepunkt erhitzt wurden) ein. Besonders bei Alkalien ist dieser stark ausgeprägt.

Bei zunehmender Eindickung der Lösung und Eintreten eines Siedeverzuges spritzt Kalilauge bis an den Helm und gelangt von dort in die Vorlage, also ins Destillat.

Beim Vergleich mit modernen Destillationsapparaturen erscheinen Hahnemanns gläserner Kolben und der mit nasser Blase aufgesetzte Helm recht primitiv. Es ist deutlich einsehbar, dass ein Emporspritzen vom Kolben zum Helm stattgefunden haben muss, ohne dass dies von Hahnemann bemerkt worden wäre, da ein aus Steinzeug oder Zinn bestehender Helm undurchsichtig war und weiße Spritzer von Kaliumhydroxid nicht zu sehen waren.

Bei weiterer Betrachtung der chemischen Eigenschaften der Reaktionspartner fällt außer dem Siedeverzug noch eine weitere Eigenschaft des Kaliumhydroxids auf: KOH sublimiert unzersetzt ab Temperaturen von 350.400 Grad Celsius. Diese Temperatur könnte Hahnemann mit dem von ihm verwendeten Kohlefeuer („gehörig starke Hitze") überschritten haben. Sollte Hahnemann seine Destillation fortwährend überwacht und durch gelegentliches Wegnehmen des Kohlenfeuers einen Siedeverzug verhindert haben, könnte er durch die direkte Einwirkung des Feuers die Temperatur erreicht haben, bei der KOH sublimiert. Auch Hahnemanns Beschreibungen der Eigenschaften seines Destillates lassen nur Kalilauge als mögliches Produkt in Frage kommen. Alle bisher angeführten Argumente sprechen somit dafür, dass Causticum Hahnemanni aus Kalilauge besteht.

 

Die Analysen unseres Causticum

Um festzustellen, ob aus der von uns verwendeten Destillationsapparatur Substanzen ins Destillat gelangen können, wurden vor Versuchsbeginn ca. 250ml Wasser überdestilliert. Darin waren mit analytischen Methoden des DAB9 keine Natrium-, Kalium-, Ammonium- oder Sulfationen nachzuweisen. In unserem Causticum-Präparat, dem Destillat der Reaktionsprodukte, konnten jedoch eindeutig Kaliumionen nachgewiesen werden. Dagegen waren keine Ammoniumionen, mit Ammoniumoxalat keine Calciumionen und mit Bariumchlorid auf Sulfationen[xl] feststellbar. Die Nachweisreaktion mit Bariumchlorid auf Sulfat ist, im Gegensatz zu der von Oxalat auf Calcium, hinreichend empfindlich, um Hahnemanns Angabe, dass „keine Spur Schwefelsäure" wahrnehmbar sei, glauben zu können. Dagegen verfügte Hahnemann über keinen empfindlichen Kaliumnachweis, der es ihm ermöglichte, die Anwesenheit von Kalilauge, außer durch seinen Geruchssinn, zu erkennen. Der PH Wert lag etwa bei 7,4-7,6. Diese Ergebnisse stehen also in guter Übereinstimmung mit den Eigenschaften, die Hahnemann seinem Präparat zuschreibt, so dass eine schwache Kalilauge als der geheimnisvolle Inhaltsstoff des Causticum anzusehen ist.

Weitere Experimente und: wie konnten andere Autoren zu ihren unterschiedlichen Ergebnissen kommen?

Aus den wenigen detaillierten Angaben einiger Autoren erklären sich diese auch von Hahnemann abweichende Arbeitsweisen. So setzte Buchner andere stöchiometrische Verhältnisse ein und hat seine Apparatur weder verkittet noch mit einer Blase verbunden.[xli] Lappe verwendete eine beschlagene Tubularetorte und einen Kitt aus Mehl und Lutum. [xlii] Goullon hat 48 Stunden lang destilliert.[xliii] Piper destillierte mit Spirituslampe, Sandbad und Retorte.[xliv] Starke meinte, das „... Fortsetzen der Destillation bis zur völligen Trockenheit... ist... nicht zweckmäßig", weshalb er sicher niedrigere Temperaturen als Hahnemann benutzte.[xlv] Wagners Untersuchungen verdienen besondere Beachtung, da sie i n die Neuzeit der Chemie fallen und offenbar die gegenwärtige industrielle Causticumproduktion beeinflußt haben. Wagner wich in einigen Vorschriften deutlich von Hahnemanns Vorschriften ab: 1. Er setzte Kaliumhydrogensulfat direkt mit Calciumhydroxid um, ohne dieses vorher geglüht zu haben. Beim Glühen entsteht daraus das Kaliumsulfat (siehe Reaktionsgleichungen). 2. Er destillierte ca. 5 l statt ca. 0,045 l aus einem Zinnblechkesses statt aus einem Glaskolben. Außerdem unterlag er zwei Irrtümern: 1. Er glaubte, durch das Ausbleiben der alkalischen Reaktion nach dem Glühen des Trockenrückstandes (aus dem Destillat) die Anwesenheit von Alkali ausschließen zu können. Daraus interpretierte er, dass eine flüchtige Ammoniumverbindung für die alkalische Reaktion verantwortlich sei, übersah aber dabei, dass Kaliumhydroxid beim Glühen sublimiert. 2. Seine Vermutung, der nachgewiesene Ammoniak entstehe aus zuvor gebildetem Calciumnitrid, ist wenig stichhaltig, da Calciumnitrid durch Oxidation von elementarem Calcium entsteht (3 Ca + N2 -> Ca3N2), nicht aus Calciumoxid und Luftstickstoff.[xlvi]

Da auch zahlreiche andere Autoren Ammoniak gefunden haben, wurden noch weitere Experimente durchgeführt. Nach deren Angaben stammt der Ammoniak aus dem gebrannten Kalk, der diesen mit Wasser gelöscht und unmittelbar danach destilliert. Frisch gebrannter Kalk wurde nach dem Abkühlen ebenso behandelt, desgleichen ein Stück Kalkstein der Schwäbischen Alb. In keinem der drei Destillate konnte mit DAB 9-Methoden Ammoniak nachgewiesen werden. Eventuell im Kalk enthaltene organische Substanzen werden beim Glühen offensichtlich zerstört. Als nächstes wurde Schweinsblase mit Kalilauge gekocht und destilliert. Hier konnte im Destillat tatsächlich Ammoniak nachgewiesen werden. Dies legt den Verdacht nahe, dass der gefundene Ammoniak durch Hydrolyse organischer Verbindungen mit Kalilauge entstanden sein könnte, was davon abhängt, ob die entstehende Kalilauge in direktem Kontakt mit der Blase gekommen war.

 

Analyse einiger Causticum-Präparate der pharmazeutischen Industrie

Causticum Urtinkturen der Firmen DHU, JSO und Staufen-Pharma wurden auf Natrium, Kalium, Ammonium und Sulfat untersucht: In allen drei Präparaten war der Ammonium-Nachweis des DAB9 positiv, der auf Kalium dagegen negativ!

Das JSO-Präparat fiel durch eine besonders hohe Ammoniumionenkonzentration auf. Für eine so hohe Ammoniumionenkonzentration hatte zuvor Starke[xlvii] eine Erklärung parat, als er den Ammoniakgeruch eines Präparates anprangerte:

„Der wirkliche Ammoniumgeruch des Grunerschen Causticum wird dadurch veranlasst worden sein, dass ein Gehülfe desselben, im dieß Präparat zu verstärken, einige Tropfen Liquor ammonii caustici hinzugetan haben zu dürfte; in dem diese Leute sich gar nicht von der Idee trennen können, dass nur Viel und recht starke Arzneimittel viel helfen können, ... unter welchen Verhältnissen aber die Zuverlässigkeit in den homöopathischen Apotheken sehr getrübt werden muss."

Dies dürfte für das JSO-Präparat nicht in dieser Form zutreffen. Jedoch kann selbst Wagners Theorie zur Entstehung des Ammoniaks bei der Präparation des Causticum diese Konzentration, bei Berücksichtigung der stöchiometrischen Verhältnisse, nicht befriedigend erklären.

 

Diskussion der Ergebnisse

Hahnemann unterlag bei Darstellung seines Causticum tatsächlich dem Irrtum[xlviii], „die kaustische Kraft" der Alkalimetalle isolieren zu können. Dieser ist aber aus den historischen Gegebenheiten, d.h. dem damaligen Wissensstand der Chemie zu verstehen. Ganz und gar unverständlich ist dagegen, dass die Irrtümer seiner Zeitgenossen und Nachfolger bis zur heutigen Zeit tradiert und von pharmazeutischen Herstellern offensichtlich kritiklos übernommen wurden. Niemand hielt es bisher für notwendig, Hahnemanns Versuchsbedingungen genau nachzuvollziehen.

Entscheidend für die Qualität eines homöopathischen Arzneimittels ist die Übereinstimmung mit dem tatsächlich geprüften Arzneimittel, von dem die Symptome der Materia medica stammen, und nicht seine „Verbesserung" durch Anwendung moderner Verfahren bei der Herstellung, die es gegenüber dem Prüfstoff verändern! Man fragt sich auch, wie die bisherigen Therapieerfolge mit Causticum, das Ammonium causticum statt Kali causticum enthält, zustande kommen konnten.

Es ist hier vielleicht der Ort auf zweierlei hinzuweisen: Das Verhältnis der homöopathischen Pharmazeuten zu den homöopathischen Ärzten ist ein völlig anderes als bei der naturwissenschaftlichen Medizin. Hier sind die Ärzte als Empfänger und Verteiler der gelieferten Produkte untergeordnet. In der Homöopathie dagegen hat die ärztliche Arbeit wesensmäßig den Vorrang vor dem Apotheker, an den sie die Herstellung nun delegiert hat (d.h. heute delegieren muss), um das zu erhalten, was aufgrund des homöopathischen Heilgesetzes notwendig ist: ein mit dem Prüfstoff völlig identisches Produkt. Anders kann die gesetzmäßig-wissenschaftliche Heilung nicht gewährleistet werden, was das Eigentliche der Homöopathie ausmacht.

Dringend notwendig und zur Erweiterung der Materia medica unerlässlich ist die Überprüfung der durch Ammonium causticum statt Kali causticum tatsächlich geheilten Fälle in bezug auf das Vorliegen von Ammonium-Symptomen.

 

 

[i] Herrn Dipl.-Chem. C. Scholz danke ich für viele wertvolle Hinweise und Frau H. Wolter für die Nachbildung des Helms.

[ii] CK III, S. 82.

[iii] Fragmenta de viribus medicamentorum, S. 15-16.

[iv] RA II, S. 35-39.

[v] Der Weg von der Ätzstofftinktur zum Causticum wird gesondert untersucht werden.

[vi] HYG 2 (1835) 434-436

[vii] HYG 4 (1836) 3.

[viii] HYG 19 (1844) 541-544: „Die Autorität Hahnemann´s ist hier gerade so ungiltig, wie beim Borax, den er einst ebenfalls, wie er in seinem uns bekannten, ihm nur zur Ehre gereichendem Widerrufe aussprach, für einen neuen Stoff gehalten hatte."

[ix] HYG 12 (1840) 228.

[x] HYG 6 (1837) 96.

[xi] HYG 12 (1840) 229.

[xii] HYG 2 (1835) 435.

[xiii] HYG 4 (1836) 3.

[xiv] AHZ 11 (1837) 248-249.

[xv] HYG 5 (1837) 451.

[xvi] HYG 12 (1840) 221-228.

[xvii] HYG 13 (1840) 282.

[xviii] LPZ 45 (1914) 6-7. In diesem Brief gibt Hahnemann eine von dem Text der CK leicht abweichende Vorschrift.

[xix] ACS 19 (1841), 2, 10-17.

[xx] HYG 15 (1841) 341.

[xxi] HYG 16 (1842) 453.

[xxii] HYG 18 (1843) 371.

[xxiii] AHZ 23 (1843) 117.

[xxiv] HYG 18 (1843) 370-371.

[xxv] Griesselich, HYG 19 (1844) 541-544.

[xxvi] AHZ 29 (1845) 258-262.

[xxvii] AHZ 57 (1858) 113.

[xxviii] AHZ 62 (1861) 87.

[xxix] AHZ 95 (1877) 1-20.

[xxx] AHZ 174 (1926) 113-122.

[xxxi] AHZ 174 (1926) 180-197.

[xxxii] PRLO 13 (1928) 93-104. Schmidt hält Allens Behauptung, aufgrund der Reaktionsgleichung Ca(OH) + K2SO4 -> CaSO4 + 2 KOH käme nur Kalilauge als Produkt in Frage, für zu simpel und sie könne daher nicht ernsthaft in Erwägung gezogen werden.

[xxxiii] EN, III, S. 35 : « The destillate contains Potassium hydrate, but no lime nor Sulphuric acid. »

[xxxiv] Hughes II, 1979. 47.

[xxxv] Farrington 1931. 703

[xxxvi] ACH 13 (1969) 64-66.

[xxxvii] Mezger I; 1964. ". 411.

[xxxviii] Vithoulkas 1986. 169.

[xxxix] Hagers Handbuch, 1949. 346: „In käuflichem Causticum konnte ebenfalls nichts anderes festgestellt werden, als eine sehr geringe Spur von Ammoniak."

[xl] In einem von mehreren Versuchen konnten Spuren von Sulfat und mit einem sehr empfindlichen Reagens (Glyoxalbishydroxyanil) auch Spuren von Calcium nachgewiesen werden. In diesem Versuch war aber die Erhitzung bewusst nicht mit der von Hahnemann geforderten Vorsicht erfolgt und führte daher zu einem ausgeprägten Siedeverzug.

[xli] AHZ 11 (1837) 248-249.

[xlii] vgl. Anm. 19.

[xliii] vgl. Anm. 27.

[xliv] vgl. Anm. 16.

[xlv] vgl. Anm. 26.

[xlvi] vgl. Anm. 30.

[xlvii] AHZ 29 (1845) 260.

[xlviii] Fasst man Hahnemann's Idee, die basische Eigenschaft von Alkalimetallen abzutrennen etwas weiter und berücksichtigt, dass das Ionenprodukt des Wassers (also die H+ - oder OH- - Konzentration) für die alkalische Reaktion verantwortlich ist, war sie gar nicht so falsch.

 

Quelle: Andreas Grimm, Heilpraktiker, Tübingen